16.12.2022 - Ankauf für das Jüdische Museum Frankfurt

 

Die Kulturdezernentin
Dr. Ina Hartwig

PRESSEINFORMATION
16.12.2022

Ankauf für das Jüdische Museum Frankfurt

Das Jüdisches Museum Frankfurt erwirbt mit Hilfe des städtischen Ankaufsetats die umfangreiche Sammlung mit Fotografien und Dokumenten von Gisèle Freund aus dem Nachlass des Autors, Regisseurs und Medienwissenschaftlers Hans Puttnies.

Bei den insgesamt 32 Archivboxen, die Hans Puttnies persönlich angelegt hat, handelt es sich um die größte Sammlung mit Fotografien und Dokumenten von Gisèle Freund in Deutschland. Die Sammlung umfasst mehr als 1.150 Fotografien aus den Jahren 1927 bis 1975, etwa die Hälfte davon Vintage-Prints, die in weiten Teilen noch nicht öffentlich gezeigt wurden. Ferner angekauft wurden bislang unpublizierte Manuskripte, wie etwa das Typoskript zu einem unvollendeten autobiografischen Roman, den Gisèle Freund in Jahren 1952-54 in Mexiko verfasste, sowie persönliche Notizen, Adressbücher, Briefe und Dokumente.

„Mit diesem Ankauf ist der Stadt Frankfurt ein Coup gelungen“, sagt Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig. „Gisèle Freund ist eine der berühmtesten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts. Sie studierte an der Goethe Universität bei Karl Mannheim Soziologie und hielt die Atmosphäre in Frankfurt unmittelbar vor der nationalsozialistischen Machtübernahme fotografisch fest. Nachdem sie als Jüdin und Kommunistin nach Paris fliehen musste, porträtierte sie zeitlebens viele deutsch-jüdische Emigranten wie etwa Walter Benjamin oder Anna Seghers, in späteren Jahren auch bekannte Schriftsteller, Künstler und Politiker wie James Joyce, Frida Kahlo und Charles de Gaulle. Zu den größten Neuheiten in der nun angekauften Sammlung zählen indessen die großen fotografischen Reportagen aus den Jahren ihrer Emigration. Die persönlichen Zeugnisse in der Sammlung ermöglichen es dem Jüdischen Museum nun, die Geschichte zu diesen Fotografien neu zu erschließen und zu erzählen.“

Die Sammlung selbst geht nicht allein auf die Sammlerleidenschaft von Hans Puttnies zurück. Sie spiegelt auch die Beziehung zwischen dem Medienwissenschaftler und der Fotografin wider. Hans Puttnies rezensierte 1969 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das damals neu erschienene Buch von Gisèle Freund „Photographie und bürgerliche Gesellschaft. Eine kunstsoziologische Studie“. Infolge dieses Artikels lernte er die Fotografin persönlich kennen und befasste sich intensiv mit ihrem Werk.

Zum Ausgangspunkt für die weltweite Wahrnehmung der Fotografin wurde dann Puttnies‘ Artikel „Kein Schnappschuss, keine Pose“, der am 3. April 1975 auf der Titelseite des FAZ-Feuilletons erschien. In den folgenden Jahren half Puttnies Gisèle Freund, ihren Fotobestand zu strukturieren und war an einigen ihrer wichtigsten Ausstellungen in Frankreich und Deutschland beteiligt. Zur Entlohnung schenkte ihm Gisèle Freund Originalfotografien. Im Laufe seiner über 20-jährigen Zusammenarbeit mit der Fotografin baute Puttnies eine Sammlung mit Vintage-Prints auf, die er um Abzüge berühmter Werke erweiterte. Über lange Zeit hinweg verfolgte er dabei die Idee, eine Biografie über Gisèle Freund zu verfassen, die ihm zu diesem Zweck ihre persönlichen Dokumente anvertraute und sich mit dem Gedanken trug, ihn als Nachlassverwalter einzusetzen. Bis zu seinem Tod im Jahr 2020 arbeitete der Medienwissenschaftler an der Sichtung der persönlichen Unterlagen und Fotografien seiner Sammlung und verfasste noch ein Drehbuch für einen Essay-Film über Gisèle Freund, das aber ebenso wie die Biografie unvollendet blieb.

Das Jüdische Museum Frankfurt hat seit seiner Eröffnung im Jahr 1988 eine umfangreiche Sammlung aufgebaut, die in wesentlichen Teilen auch persönliche Dokumente und Fotografien umfasst, so etwa mehr als 400 Farbdias aus dem Getto in Lodz aus den Jahren 1941 – 1944. Mit dem Ankauf der Sammlung Gisèle Freund soll nun ein neuer Sammlungsschwerpunkt im Bereich der historischen Fotografie entstehen, der sich insbesondere mit jüdischen Fotografinnen befasst, die in Frankfurt tätig waren. „Ich freue mich sehr, dass uns diese herausragende Sammlung mit Fotografien und Dokumenten von Gisèle Freund aus dem Nachlass von Hans Puttnies nicht nur verkauft, sondern die weitere wissenschaftliche Arbeit mit diesen weithin unbekannten Bildern und sehr persönlichen Unterlagen auch anvertraut wurde“, sagt die Direktorin des Jüdischen Museums, Prof. Dr. Mirjam Wenzel. „Besonders schön finde ich, dass dieser Ankauf zeitgleich zu unserer Ausstellung „Zurück ins Licht. Vier Künstlerinnen – Ihre Werke. Ihre Wege“ geschieht, die vier heute gemeinhin unbekannte Frauen präsentiert, die zur selben Zeit in Frankfurt gelebt haben wie Gisèle Freund. Mit dem Ankauf der Werke und Zeugnisse von Gisèle Freund stellen wir diesen Künstlerinnen, deren Karrieren im Nationalsozialismus endeten, nun eine Frau zur Seite, die der Verfolgung trotzen und mithilfe ihres Freundes Hans Puttnies später weltweit das Licht der Öffentlichkeit genießen konnte“, sagt Prof. Dr. Mirjam Wenzel.

2019 wurde der Ankaufsetat für die städtischen Museen in Frankfurt durch die Kulturdezernentin eingeführt. Jährlich stehen den städtischen Museen 1,1 Millionen Euro für Ankäufe von Kunstwerken zur Verfügung. Von den Mitteln haben unter anderem das Caricatura Museum Frankfurt, das Museum MMK für Moderne Kunst, und das Weltkulturen Museum bereits Ankäufe getätigt.


Biografischer Anhang

Gisèle Freund, 1908-2020
Gisèle Freund wurde in Berlin als Gisela Sophia Freund geboren und bekam bereits als Schülerin von ihrem Vater – dem Kunstsammler Julius Freund – eine Fotokamera geschenkt, zum Abitur dann eine Leica, die sie lebenslang benutzte. (Einige Fotos aus dieser frühen Zeit sind in der Sammlung enthalten.) Nach kurzem Studium in Freiburg zog sie 1929 nach Frankfurt, um Soziologie bei Karl Mannheim zu studieren. Ihr Dissertationsthema „La Photographie en France au XIXè Siècle“ (Die Fotografie in Frankreich im 19. Jahrhundert) führte sie wenig später nach Paris, wobei sie weiterhin auch in Frankfurt lebte und in der linken Roten-Studentengruppe aktiv war. So dokumentierte sie etwa im Jahr 1932 die Demonstrationen zum 1. Mai.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme drohte Gisèle Freund die Verhaftung. Am 30. Mai 1933 floh sie nach Paris; für sie wichtige Filmrollen hielt sie dabei am Körper versteckt. Von Paris aus unternahm sie längere Reportage-Reisen nach England und in die Dolomiten und machte Porträtaufnahmen von Schriftstellern und Künstlern. Im Dezember 1936 erschienen ihre Fotografien im noch relativ neuen Magazin „Life“ unter dem Namen der von ihr gegründeten Firma „Girix“. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen floh Gisèle Freund ins Departement Lot, wo sie sich zwei Jahre lang versteckte, bevor ihr schließlich die weitere Flucht nach Buenos Aires gelang.

Als 1947 Robert Capa, David Seymour und Pierre Gassmann die Fotoagentur Magnum gründeten, wurde sie assoziiertes Mitglied. Von „Life“ mit einer Reportage über die Gattin des argentinischen Präsidenten beauftragt, fotografierte sie Evita Perón 1950 inmitten ihres luxuriösen Privatlebens. Nachdem die Fotos trotz der versuchten Beschlagnahmung durch das argentinische Informationsministerium dennoch erschienen waren, musste Gisèle Freund erneut fliehen. Sie reiste über Montevideo nach Mexiko, wo sie zwei Jahre blieb. 1953 kehrte sie nach Paris zurück und lebte hier bis zu ihrem Tod im Jahr 2000.


Hans Puttnies, 1946-2000
Hans Puttnies wurde in Jena geboren und flüchtete als Elfjähriger mit seiner Mutter in den Westen. Er ging in Offenbach zur Schule, ab 1966 studierte er in Frankfurt bei Adorno und Horkheimer Philosophie und arbeitete als freier Journalist für den Spiegel, Die Zeit und die Frankfurter Allgemeine Zeitung. 1976 promovierte er bei Helmut Brackert mit der medienhistorischen Studie „Ursprung der deutschen Presse“.

1981 zum Professor für Kommunikationsdesign an der Fachhochschule Darmstadt berufen, lehrte Puttnies Fotografie und grafische Gestaltung, baute den internationalen Fachbereich „Media“ mit auf und begründete das Fach „Medienkultur“. Als Kurator und Designer gestaltete er große Ausstellungen in Paris, Moskau und Berlin. In den 1990ern war er Mitgründer des Media-Campus Dieburg.

Puttnies publizierte mehrere Bücher zur Bildgeschichte und war Autor und Regisseur des Essayfilms „Palmyra“ (2016), den er 2008 in und um Palmyra gedreht hatte. Im Jahr 2009 wurde er emeritiert und zog in ein mecklenburgisches Biosphärenreservat an der Elbe, wo er das Zentralpark Archiv aufbaute, in dem er seine Sammlungen anonymer Fotografien und sein eigenes fotografisches Werk bewahrte.
 

Dezernat Kultur und Wissenschaft
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