04.05.2016 - „Etwas Lebendes ist mir lieber als alle Netze der Welt!“ Für die Wiedererlangung eines kommunalen Kindertheaters in Frankfurt

 

Journal Frankfurt
04.05.2016

„Etwas Lebendes ist mir lieber als alle Netze der Welt!“ Für die Wiedererlangung eines kommunalen Kindertheaters in Frankfurt

von Felix Semmelroth


Das Staunen der Kinder, es ist überall auf der Welt gleich. Ob es ein Stück über Huckleberry am Mississippi, Sheherazade in Kairo oder den Roten Ritter Parzival am Frankfurter Schauspiel ist.

Kinder brauchen Märchen, früh erzählt oder als erste eigene Leseerfahrung. Kinder und Jugendliche brauchen aber erst recht die Bühne, das Theater. Die Netze, sie bieten sicher einiges. Aber die Schätze, sie liegen auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Ob die geteilte Angst vor dem Krokodil und der gemeinsame Hilferuf nach dem Kasper der Vierjährigen vor dem Puppentheater oder das verlegene Gekicher der Vierzehnjährigen beim Klassenbesuch von Wedekinds Frühlingserwachen – das Bühnenerlebnis in Kindheit und Jugend prägt die Haltung zu Literatur, Musik oder Tanz für ein Leben. Hier entstehen die Bilder, die die Fantasie über Jahrzehnte hinweg beflügeln. Bilder, hervorgerufen durch echte Menschen, echte Sprache, echten Gesang, die haften bleiben und durch keine Technologie, durch keine Netze der Welt verdrängt werden können.

Und jeder Lehrer weiß, nie sind die Köpfe der Klasse so frei für Neues, für Fragen und Ungefragtes wie nach einem gemeinsamen Besuch im Theater. Frankfurt hat da einiges zu bieten, vom hohen Niveau des Theaterhauses in der Schützenstraße, den musikalischen Welten von Papageno im Palmengarten, den preisgekrönten Jugendstücken an Oliver Reeses Schauspiel und der tiefen Kraft der Opern bei Bernd Loebe.

Das Kindertheater ist die wahre Bühne der Welt. Und nichts ist so kreativ wie das Spiel der Kinder. Umso höher die Anforderungen an das Spiel für Kinder. „Atome spalten ist ein Kinderspiel verglichen mit einem Kinderspiel“, so Albert Einstein. Deshalb darf und kann Kindertheater nie ein Ableger sein, sondern immer nur ein eigener Trieb mit eigenen Wurzeln. Was Frankfurt benötigt, ist ein solcher Kristallisationspunkt, ein Ort der Vieles zusammenfließen lässt und gleichzeitig neue Möglichkeiten schafft: ein eigenständiges Kinder- und Jugendtheater als kommunales Haus mit Sprechtheater, Figurentheater, mit Gesang und Tanz.

Wir waren ja schon mal weiter: Anfang der 1990er Jahre hatte die Stadt ein eigenes Kinder- und Jugendtheater ins Leben gerufen, das nach nur einer Spielzeit den zyklisch wiederkehrenden Sparmaßnahmen geopfert wurde. Für ein neues Haus ist deshalb ein breiter politischer und gesellschaftlicher Konsens nötig. Denn Investitionen in Kinder und junge Menschen brauchen einen verlässlichen politischen Willen, eine sich bekennende Bürgerschaft und die Überzeugung, dass sich Aufwendungen für ein Theater für junge Menschen dauerhaft lohnen.

Frankfurt hätte vielleicht den Ort, der das ermöglichen könnte. Das Zoo-Gesellschaftshaus wäre es wert und böte alles, was ein Kinder- und Jugendtheater braucht. Die zentrale Lage in einem kinderfreundlichen Umfeld, die einnehmende Architektur und die wirklich großen Räumlichkeiten selbst.

Und jetzt wird’s ernst. Allerdings, so etwas gibt es nämlich nicht umsonst. Es müssten bauliche Investitionen in erheblichen Umfang getätigt werden. Die sind am Zoo-Gesellschaftshaus, das Ende der 1980er Jahre letztmals saniert wurde, allerdings sowieso notwendig, gleich welche Nutzung angedacht ist. Ferner sind erforderlich ein fester Etat für Betrieb und Personal, Leitung, Technik, Verwaltung, Ensemble sowie für eigene Produktionen und für Kooperationsprojekte mit anderen Frankfurter Theatern und Häusern in Deutschland und in Europa.

So ehrlich müssen wir sein, zirka 2-3 Millionen Euro wird der Betrieb eines solchen Hauses schon kosten. Und man darf nicht dem Irrtum unterliegen, Theater für Kinder und Jugendliche könne man „so nebenher mitmachen“. Im Gegenteil. Kinder haben ein größeres Gespür für Qualität und künstlerische Leistung als viele Erwachsene, junge Menschen sind die schärfsten Kritiker. Und weil sie so aufnahmefähig wie unbestechlich sind, kann man bei ihnen mit schlechten Angeboten wahrscheinlich mehr zerstören als bei den Erwachsenen.

Für das konkrete Konzept braucht es viel Kraft, Fantasie und Diskussion. Es gibt schon gelungene Beispiele in anderen Städten: Das Theater der Jungen Generation in Dresden wurde 1949 gegründet und ist eines der großen eigenständigen Häuser mit einem eigenen Schauspielerensemble und mehreren Spielstätten. Gespielt werden Kinder- und Jugendstücke ebenso wie Tschechow und die Klassiker. Eine eigenständige Sparte mit eigener Budgetierung und Intendanz ist das Schnawwl am Nationaltheater Mannheim. Eigenständige Häuser sind auch das Junge Ensemble Stuttgart (JES) und die SchauBurg, verwaltet als Teil der Münchner Kammerspiele. Die relative finanzielle Sicherheit ermöglicht diesen Häusern, eigenverantwortlich künstlerische Wege zu gehen und strukturelle und finanzielle Risiken selbst abzuwägen bzw. darauf mit Anpassungen zu reagieren. Von diesen Beispielen kann man lernen, an Erfahrungen anknüpfen. Form, Inhalt, Ausstattung - hier sind noch viele Fragen offen. Nicht zur Diskussion sollten allerdings die Eigenständigkeit, die Autonomie und die künstlerische Freiheit eines Frankfurter Kinder- und Jugendtheaters stehen. Gehen wir diese Aufgabe an, mutig, jetzt, für die Kinder.

Erinnern wir uns an einen Jungen, der vor zweieinhalb Jahrhunderten staunend vor seinem Puppentheater saß. Aus dem Staunen eines Kindes entstanden Werke der Weltliteratur, entstand der Faust. Ohne dieses Puppentheater wäre Frankfurt heute nicht die Goethestadt. Es gibt Investitionen in die Zukunft, die sich lohnen.


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