22.01.2020 - Das Neue Frankfurt: Exil und Remigration. Eine Großstadtutopie als kulturelles Transfergut Neue Studie zur Stadtgeschichte erschienen

 

Die Kulturdezernentin
Dr. Ina Hartwig

PRESSEINFORMATION
20.01.2020

Das Neue Frankfurt: Exil und Remigration. Eine Großstadtutopie als kulturelles Transfergut
Neue Studie zur Stadtgeschichte erschienen

Das Neue Frankfurt ist als einzigartiges Avantgardeprojekt inzwischen fast so bekannt wie das Bauhaus. Im Gegensatz zu der berühmten Kunstschule verfolgten seine Protagonisten im Frankfurter Planungsdezernat aber ein praxisorientiertes Gestaltungsprogramm, das die Mainstadt in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zur Hauptstadt der Moderne machte. Ihr ehrgeiziges Ziel war dabei nicht weniger als die Definition universal gültiger Normen in Architektur, Städtebau und Design. Die Nagelprobe folgte wenige Jahre später, als diverse Akteure des Neuen Frankfurt als Emigranten ihr Können im Ausland unter Beweis stellen mussten – und nochmals nach 1945, als die Konzepte des Neuen Frankfurt mit eben jenen Architekten nach Deutschland remigrierten.

Der Autor Dr. C. Julius Reinsberg folgt in seiner 2017 vorgelegten und nun veröffentlichten Dissertation „Das Neue Frankfurt: Exil und Remigration. Eine Großstadtutopie als kulturelles Transfergut“ exemplarisch den Lebenswegen und dem beruflichen Wirken der Architekten Martin Elsaesser, Ferdinand Kramer, Ernst May und Margarete Schütte-Lihotzky: „Die Studie zeigt die Konstanz und Dynamik einer Frankfurter Bauutopie über mehrere Jahrzehnte und über Ländergrenzen und Kontinente hinweg. Sie leistet damit nicht nur einen Beitrag zur Geschichte des Neuen Frankfurt, das bis heute das Stadtbild prägt, sondern auch zu Prozessen des Kulturtransfers, zur Geschichte von Exil und Migration.“, unterstrich Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig die Bedeutung der Publikation bei der Buchvorstellung im Institut für Stadtgeschichte.

Reinsbergs Arbeit gliedert sich in drei Teile und beginnt mit den 1920er Jahren in Frankfurt am Main. Die vier Architekturexperten beeinflussten unter der Leitung von Planungsdezernent Ernst May maßgeblich die neuen Siedlungen Frankfurts in sachlich-schlichter Formensprache. Weltwirtschaftskrise und NS-Diktatur, die diese Art der Modernisierung vehement ablehnte, setzten diesem Städtebau in Deutschland ein Ende.

Viele der Protagonisten des Neuen Frankfurts konnten ihr Renommee nutzen, um im Ausland neue Betätigungsfelder zu finden. Im zweiten Teil seiner Studie folgt Reinsberg den vier Architekt*innen in die Emigration und verdeutlicht damit den Transfer der Expertenkultur des „Neuen Frankfurt“ und die Implementierung der Bauformen in ganz andere politische Kontexten. „Dabei wurde deutlich, dass die demokratische Staatsform der Weimarer Republik kein Teil dieses Transfers war, sondern sich die Baukultur des Neuen Frankfurt auch mit totalitären Staatsformen kombinierbar zeigte“, beschreibt Reinsberg ein zentrales Ergebnis seiner Studie. May und Schütte-Lihotzky gingen schon 1930 in die UdSSR, um dort am sowjetischen Städtebau mitzuwirken. May verließ die Sowjetunion 1934 und verwirklichte im Anschluss Bauprojekte in Ostafrika. Schütte-Lihotzky ging 1938 in die kemalistische Türkei, wo sie unter anderem prototypische Kindergärten betreute. Ihre Beteiligung am österreichischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus führte 1941 zu ihrer Verhaftung in Wien. Ferdinand Kramer emigrierte 1938 in die Vereinigten Staaten, wo er bis 1952 als Architekt und Produktdesigner tätig war. Martin Elsaesser verließ das Frankfurter Hochbauamt 1932 und wurde während der NS-Herrschaft weitgehend von Bauaufträgen ausgeschlossen. Er verwirklichte von seinem Architekturbüro in München aus in Ankara Projekte.

Der dritte Abschnitt der Studie gilt der Remigration des nun Internationalen Stils des Neuen Frankfurts nach 1945. Ernst May remigrierte 1954 in die Bundesrepublik Deutschland, wo er in leitender Position für die Wohnbaugesellschaft Neue Heimat arbeitete. Ferdinand Kamer kam 1952 nach Frankfurt zurück und wurde Baudirektor der Goethe-Universität. Er prägte das Frankfurter Stadtbild erneut mit Versatzstücken des Neuen Frankfurts und seinem US-amerikanischen Erfahrungsschatz. Im Gegensatz zu Kramer und May konnte Margarete Schütte-Lihotzky nach 1945 weder in der Bundesrepublik noch in der DDR beruflich richtig Fuß fassen. Ihre in den 1920er Jahren entwickelte „Frankfurter Küche“ wurde jedoch zum Prototyp der Einbauküche und entfaltete damit einen Wirkungsgrad wie kein anderer Neufrankfurter Entwurf. Martin Elsaesser arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg überwiegend nur noch theoretisch als Dozent an der TH München und vermittelte so Studierenden seine architekturtheoretischen Positionen.

„Die Studie fußt auf einer ausgesprochen breiten und differenzierten Quellenbasis“, betont Dr. Alexandra Lutz, Archivdirektorin und Stellv. Institutsleitung des Instituts für Stadtgeschichte. Reinsberg konnte sich in seiner Arbeit neben den beruflichen und privaten Nachlässen der vier Architekt*innen auch auf die personengeschichtliche Sammlung sowie die kommunalen Verwaltungsakten im Institut für Stadtgeschichte stützen. Zudem wertete er publizistische Aktivitäten der untersuchten Protagonisten aus und besichtigte und erfasste fotografisch die Bauten in Frankfurt und weltweit.

Seine Dissertation wurde 2017 mit dem Sonderpreis des „Johann-Philipp-von-Bethmann-Studienpreis“ ausgezeichnet. Die Frankfurter Historische Kommission veröffentlichte die Arbeit in Verbindung mit der Gesellschaft für Frankfurter Geschichte e. V. und dem Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main als Band 67 der „Studien zur Frankfurter Geschichte“. Die 528-seitige, reich bebilderte Publikation ist im Societäts-Verlag erschienen (ISBN: 978-3-95542-352-0) und zum Preis von 30 Euro im Institut für Stadtgeschichte und im Buchhandel erhältlich.

Biographie des Autors
C. Julius Reinsberg, geboren 1987, studierte Geschichtswissenschaften und Germanistik in Bonn und Gießen und promovierte 2017 in Frankfurt am Main. Die Arbeit wurde von Prof. Dr. Christoph Cornelißen vom Historischen Seminar der Goethe-Universität Frankfurt betreut und 2017 mit dem Johann Philipp von Bethmann-Studienpreis ausgezeichnet. 2013 bis 2017 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter der ernst-may-gesellschaft e.v. und arbeitete an der Dokumentation „ERNST MAY. Eine Revolution des Großstädters“ von Dr. Otto Schweitzer mit. 2017/18 war er in Personalunion Geschäftsführer des Forums Neues Frankfurt und der ernst-may-gesellschaft e.v. und zwischen 2014 bis 2018 Mitherausgeber des Onlinemagazins moderneREGIONAL. Seit 2018 ist er Referent im Frankfurter Kulturdezernat.
 

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