16.12.2020 - Verleihung des Johann Philipp von Bethmann-Studienpreises 2020 an Christoph Regulski

Die Kulturdezernentin
Dr. Ina Hartwig

PRESSEINFORMATION
16.12.2020

Stadthistorisches Forschungsprojekt ausgezeichnet
Verleihung des Johann Philipp von Bethmann-Studienpreises 2020 an Christoph Regulski

Mit dem diesjährigen Johann Philipp von Bethmann-Studienpreis zeichnet die Frankfurter Historische Kommission den Historiker Dr. Christoph Regulski für seine Studie „Der Dank des Vaterlandes? Berufliche Perspektiven der Kriegsgeschädigten in Frankfurt am Main 1914-1933“ aus. Der Bethmann-Studienpreis wurde 1984 von Johann Philipp Freiherr von Bethmann gestiftet, nach dessen Tod von seiner Gattin Bettina Freifrau von Bethmann fortgeführt und ist mit 5.000 Euro dotiert. Mit dem jährlich ausgeschriebenen Preis sollen Wissenschaftler gefördert werden, die sich mit einer umfangreichen, längerfristigen Studienarbeit ausweisen, die geeignet ist, die wissenschaftliche Basis zur Erforschung der Frankfurter Geschichte zu erweitern.

Millionen junger Männer wurden nach dem Ersten Weltkrieg mit schwersten körperlichen und seelischen Verwundungen aus dem Heer entlassen. Sie verloren Arme oder Beine, erlitten entstellende Gesichtsverletzungen oder erkrankten psychisch schwer und chronisch. Ohne Unterstützung staatlicher oder städtischer Behörden fanden sie nicht in den Arbeitsmarkt. „Christoph Regulski zeigt, wie Frankfurt am Main sich der Aufgabe stellte, die Kriegsbeschädigten beruflich einzugliedern. Mit seiner Studie macht er deutlich, welche sozialen Nachwirkungen der Erste Weltkrieg für die Betroffenen hatte und wie die kommunalen Behörden und die Stadtgesellschaft auf diese Herausforderung reagierten“, so Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig als Vertreterin des Magistrats in der Historischen Kommission zur Bedeutung der Untersuchung des Preisträgers. „Der Autor vergleicht diese Anstrengungen der Stadt Frankfurt mit entsprechenden Maßnahmen anderer Städte und arbeitet so den spezifischen Ansatz Frankfurts heraus“, ergänzt Professorin Dr. Marie-Luise Recker, die Vorsitzende der Frankfurter Historischen Kommission und der Jury, der neben ihr und der Kulturdezernentin auch Stadtrat Dr. Bernd Heidenreich angehörte.

Christoph Regulski hat seine Studie in vier Kapitel untergliedert. Im ersten Teil werden die allgemeinen Rahmenbedingungen vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs und während des Krieges selbst dargestellt. Das zweite Kapitel beleuchtet die rechtlichen und sozialen Grundlagen des Umgangs mit Kriegsbeschädigten in der Weimarer Republik. Hier richtet sich der Blick des Autors auf die gesetzlichen Bestimmungen und die mit der Eingliederung der Kriegsbeschädigten in das Arbeitsleben verbundenen gesellschaftlichen Erwartungen.

Im dritten Kapitel stellt der Autor die Gründung der Frankfurter Arbeitszentrale für Erwerbsbeschränkte und ihre Tätigkeit vom Beginn der 1920er Jahre bis zum Ende der Weimarer Republik dar. Sie ging aus einem privaten Hilfsverein hervor, wurde dann aber als kommunale Behörde betrieben und entwickelte sich bis in die Mitte der 1920er Jahre zu einem Großbetrieb mit bis zu 1000 Beschäftigten. Missmanagement und Betrug der Direktion führten zu einer tiefen Krise, einem Korruptionsprozess und anschließender Reorganisation der Arbeitszentrale Ende der 1920er Jahre. In der Weltwirtschaftskrise musste sie die Zahl der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf 300 verringern.

Die Bemühungen von verschiedenen Behörden der Stadt Frankfurt, Kriegsbeschädigten eine berufliche Tätigkeit in städtischen Dienststellen zu ermöglichen, stehen im Fokus des vierten Kapitels. Einstellungen geschahen vor allem im Tiefbauamt und im Schulamt. Regulski zeigt anhand eines Einzelschicksals aus den Akten des Tiefbauamts, welche besonderen Schwierigkeiten Schwerverletzte mit Folgeerkrankungen wie Epilepsie hatten, wieder in das Berufsleben zurückzufinden.

Im abschließenden Resümee gelangt Christoph Regulski zu dem Befund, dass sich die durchgehend prekäre Lage der Kriegsversehrten mit der Weltwirtschaftskrise 1929 noch einmal dramatisch verschlechterte. Sie waren nicht nur von Massenentlassungen, sondern auch von Rentenkürzungen betroffen. Insgesamt blieben während der Weimarer Republik und auch in der NS-Zeit die staatlichen beziehungsweise städtischen Maßnahmen zur beruflichen und damit auch gesellschaftlichen Wiedereingliederung der Kriegsbeschädigten unzureichend. Der „Dank des Vaterlandes“ für die Kriegsversehrten beschränkte sich im Wesentlichen auf die rhetorische Anerkennung.

Für die Untersuchung konnte Christoph Regulski zahlreiche Quellen des Instituts für Stadtgeschichte Frankfurt am Main auswerten. Darüber hinaus ergänzen Materialien aus dem Hessischen Wirtschaftsarchiv in Darmstadt sowie zahlreiche, teilweise kaum bekannte zeitgenössische Schriften über das Problem der Kriegsbeschädigtenfürsorge seinen Quellenkorpus.

Die mit zahlreichen Abbildungen illustrierte Untersuchung wird Anfang des Jahres 2021 in der von Professor Dr. Jürgen Müller herausgegebenen Reihe „Erster Weltkrieg im Fokus“ als Buch erscheinen.


Biographie des Autors

Christoph Regulski, geboren 1968 in Hagen/Westfalen, studierte Deutsch und Geschichte an der Freien Universität Berlin und an der Ruhr-Universität Bochum, wo er 2000 zum Dr. phil. promoviert wurde. Er lebt und arbeitet seit zwei Jahrzehnten in und bei Frankfurt am Main.

Seine bisher veröffentlichten Bücher erstrecken sich vom Kaiserreich über seinen Forschungsschwerpunkt Erster Weltkrieg bis hin zur Novemberrevolution. In der Reihe „Studien zur Frankfurter Geschichte“ ist 2012 „Klippfisch und Steckrüben. Die Lebensmittelversorgung der Einwohner Frankfurts am Main im Ersten Weltkrieg 1914-1918“ erschienen. 2018 veröffentlichte er ein Buch zur Novemberrevolution 2018/19 und zuletzt erschien von ihm die Studie „Die deutschen Gefallenen - Gedenkbücher des Ersten Weltkriegs“.


Frankfurter Historische Kommission

Die Frankfurter Historische Kommission ist eine im Jahr 1906 vom Magistrat der Stadt Frankfurt am Main eingesetzte außerordentliche Magistratsdeputation. Sie wurde nach dem zweiten Weltkrieg durch einen Magistratsbeschluss vom 16. März 1948 wiedererrichtet und hat die Aufgabe, die systematische Erforschung der Frankfurter Stadtgeschichte durch Quelleneditionen und Publikation wissenschaftlicher Darstellungen zu fördern. Vorsitzende ist Prof. Dr. Marie-Luise Recker, stellv. Vorsitzender Dr. Bernd Heidenreich, Geschäftsführerin Dr. Evelyn Brockhoff, Schatzmeister Dr. Thomas Bauer und Vertreterin des Magistrats der Stadt Frankfurt Dr. Ina Hartwig. Weitere Informationen zur Frankfurter Historischen Kommission unter: www.frankhistkom.de.


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