10.12.2020 - Buchpublikation aus dem Institut für Stadtgeschichte "Die Frankfurter Paulskirche. Ort der deutschen Demokratie"

 

Institut für Stadtgeschichte

Die Kulturdezernentin
Dr. Ina Hartwig

PRESSEINFORMATION
10.12.2020

Buchpublikation aus dem Institut für Stadtgeschichte
Die Frankfurter Paulskirche. Ort der deutschen Demokratie

„Kaum ein anderer historischer Ort in der Bundesrepublik Deutschland ist von so großer symbolischer Bedeutung wie die Frankfurter Paulskirche“, so Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig zum Erscheinen des nun vorliegenden Bandes „Die Frankfurter Paulskirche. Ort der deutschen Demokratie“. Sie stehe wie kein anderes Bauwerk für den demokratischen Neubeginn, zum einen als Ort des Nationalparlaments, das hier 1848/49 tagte, zum zweiten mit ihrem schlicht gehaltenen Wiederaufbau 1947/48 nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Demut und der Wille zur Erneuerung zum Ausdruck kommen.

Frankfurter Paulskirche, © Uwe Dettmar

Der von Dr. Evelyn Brockhoff und Dr. Alexander Jehn unter Mitarbeit von Franziska Kiermeier herausgegebene Band beleuchtet dieses vielschichtige historische Denkmal und leistet einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte um die Zukunft des Ortes: „Das demokratische Erbe der Paulskirche spielte in der deutschen Erinnerungskultur der vergangenen Jahrzehnte nicht die Rolle, die seiner Bedeutung gerecht wird. Die aktuelle Diskussion über die künftige Gestaltung sowie die erinnerungspolitische Verortung der Paulskirche, die in Frankfurt und deutschlandweit im Hinblick auf das 175. Jubiläum im Jahr 2023 entfacht ist, vermag das endlich zu korrigieren,“ stellt Dr. Evelyn Brockhoff, Leitende Direktorin des Instituts für Stadtgeschichte, die bundespolitische Bedeutung der aktuellen Debatte heraus.

Dr. Alexander Jehn, Leiter der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung in Wiesbaden, betont in seinem Grußwort, Kirchen seien bedeutende Symbole kultureller und gesellschaftlicher Entwicklung. Unter den Kirchenbauten sticht die Paulskirche ganz besonders hervor, die neben ihrer Funktion eine so facettenreiche politische und gesellschaftliche Geschichte abbildet: „Sie ist ein idealer Lern- und Gedenkort, an dem die Demokratie immer wieder neu erobert werden kann.“

Der Tagungsband ging aus dem zweitägigen Symposium „Die Frankfurter Paulskirche: Ort der deutschen Demokratie“ hervor, das in Kooperation mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung im Herbst 2019 veranstaltet wurde. Insgesamt neun Beiträge widmen sich der Baugeschichte der 1833 eingeweihten evangelisch-lutherischen Paulskirche, der Bedeutung der Nationalversammlung und ihrer Beschlüsse für die demokratische Entwicklung sowie der Erinnerung an diesen bedeutenden Ort. Zudem werden Perspektiven für den künftigen Umgang mit der Paulskirche und ihrem demokratischen Erbe aufgezeigt.

Der Druck des Bandes, der Teil der Reihe „Kleine Schriften des Instituts für Stadtgeschichte“ ist, wurde von der Gesellschaft für Frankfurter Geschichte e. V. finanziert: „Als traditionsreicher Frankfurter Geschichtsverein haben wir gern den Band ermöglicht. Er erscheint zum denkbar besten Zeitpunkt, weil er die aktuelle Debatte bau-, demokratie- und erinnerungsgeschichtlich unterfüttert“, sagt Franziska Kiermeier, Leiterin der Abteilung Zeitgeschichte im Institut für Stadtgeschichte und Mitglied des Vorstandes der Gesellschaft für Frankfurter Geschichte e. V.

„Mit dem Band greifen Herausgeberinnen und Herausgeber ein historisches Thema auf, das derzeit wie kein zweites die Frankfurterinnen und Frankfurter beschäftigt und das in das Zentrum der Debatte über den Zusammenhang von Erinnerungskultur und Demokratie in Deutschland gerückt ist,“ sagt Stadtrat Dr. Bernd Heidenreich. Er hatte 2019 das dem Band zugrunde liegende Symposion für den Oberbürgermeister eröffnet und sich dabei für eine behutsame Fortschreibung des heutigen Erscheinungsbildes der Paulskirche auf der Grundlage des Konzeptes des Architekten Rudolf Schwarz ausgesprochen. Zugleich hatte er erstmals ein Grundkonzept für ein „Haus der Demokratie“ vorgestellt, das museale Präsentation, historische Orientierung und politische Bildung miteinander verbindet. Beide Vorschläge sind inzwischen Bestandteil der Beschlüsse des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung.
„Frankfurt bezieht damit eine klare Position, mit der wir auf Augenhöhe in die Verhandlungen mit Bund und Land eintreten können. Der Tagungsband schafft dafür unverzichtbare wissenschaftliche Grundlagen“, sagt Heidenreich.
 

Zum Inhalt

Die Kunsthistorikerin Lucia Seiß eröffnet die Aufsatzsammlung mit ihrem Beitrag über die vierzigjährige Baugeschichte der Paulskirche vor ihrer Eröffnung als neue lutherische Hauptkirche 1833. Ihre Gestaltung wandelte sich während dieser langen Bauphase mit den wechselnden Akteurinnen und Akteuren, Stadtbaumeistern und mehreren Bauunterbrechungen ständig. So entwickelte sich der Entwurf von den zunächst barocken Plänen zum ungewöhnlichen ovalen Grundriss mit einer klaren und einfachen Formgebung in klassizistischer Manier, ausgeführt von Stadtbaurat Johann Friedrich Christian Hess. Sie stellte auch nach ihrer Eröffnung eine Besonderheit in Frankfurt dar, wurde sie doch sowohl sakral als auch zu weltlichen Zwecken genutzt.

Im folgenden Aufsatz stellt Prof. Dr. Frank Engehausen, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, die deutsche Nationalstaatsbewegung in den Mittelpunkt. Er geht der Frage nach, welches Selbstverständnis die Nationalversammlung und ihre sich bildenden Fraktionen im Frühsommer 1848 über ihre Aufgabe hatten. Er verfolgt, wie sie im Laufe der Revolution an diesem Selbstverständnis scheiterten und sich die Liberalen unter dem Eindruck der politischen Gesamtsituation vom Anspruch der verfassungsgebenden Alleinkompetenz der Nationalversammlung entfernten.

Inhaltlich schließt sich daran der Beitrag von Dr. Günter Mick an und stellt das Ringen der Nationalversammlung 1848 und 1849 den machtpolitischen Verschiebungen gegenüber. Er macht die „Macht der Realitäten“ aus, die auch zum Scheitern der zu hoch gesteckten Ziele der Nationalversammlung geführt haben.

Prof. Dr. Dieter Hein, Goethe-Universität Frankfurt, widmet sich den Nachwirkungen der Nationalversammlung und ihrer Beschlüsse. Er würdigt die verabschiedete Verfassung als revolutionärer, linker und demokratischer, als es von der Zusammensetzung der Versammlung zu erwarten gewesen sei. Wurde sie auch nie verabschiedet, beeinflusste sie doch die Verfassung der Weimarer Republik, insbesondere aber die Beratungen zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 1948/49, wenn auch vor einem völlig anderen historischen Erfahrungshintergrund.

Im Beitrag von Prof. Dr. Andreas Fahrmeir, Goethe-Universität Frankfurt, stehen die Nationskonzepte der Nationalversammlung von 1848/49 im Fokus. Er fragt „Eine Verfassung – aber für wen?“ danach, für welches Gebiet die Konstitution gelten sollte. Die nationale Frage war für die Nationalversammlung Kern ihres Projektes, gleichzeitig aber problematisch und innerhalb der Versammlung umstritten. Er konzentriert sich in seinem Beitrag auf Abgeordnete, die die Ränder des deutschen Bundes im Süden und Westen repräsentierten, und darauf, wie die Versammlung mit diesen Vertretern nationaler Minderheiten umging.

Prof. Dr. Walter Mühlhausen, Geschäftsführer der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, leitet mit seinem Beitrag „Erinnerung und Tradition“ den erinnerungskulturellen und denkmalpolitischen Teil des Bandes ein. Er analysiert die Frankfurter Gedenkfeiern an 1848 in Monarchie und Republik. Im Vergleich zu den Feiern im Kaiserreich 1873 und 1898, die nur lokale Ereignisse waren, war die 75-Jahrfeier im Mai 1923 überregional, glanzvoll und fand unter Teilnahme des Reichspräsidenten Friedrich Ebert statt. 1848 wurde Bezugspunkt und Legitimation aus der Vergangenheit für die junge Republik.

Dr. Thomas Bauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Stadtgeschichte, stellt in seinem Beitrag „Das Haus aller Deutschen“ den Wiederaufbau der Paulskirche als Signal für den demokratischen Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg dar. Die Paulskirche stand in der Nachkriegsnot zunächst nicht auf der Dringlichkeitsliste für einen Wiederaufbau, gerade noch rechtzeitig wurde jedoch ihr hoher Symbolwert für die neue Demokratie erkannt und die Instandsetzung bis zur Hundertjahrfeier 1948 geplant und in zeitgemäß schlichter Architektur von der Architektengemeinschaft um Rudolf Schwarz verwirklicht. „Die Paulskirchenfeier 1948 stellte mehr dar als nur ein historisches Jubiläum“, unterstreicht Bauer die Bedeutung dieses Ereignisses: „Der Wiederaufbau war ein Bekenntnis zu den demokratischen Traditionen und ein an die Völkerfamilie gerichtetes Signal des demokratischen Neubeginns der Bundesrepublik Deutschland.“

Prof. Dr. Michael Dreyer, Co-Leiter der Forschungsstelle Weimarer Republik an der Universität Jena, macht sich in seinem Aufsatz zur Frage „Demokratische Kirchen und Schlösser? Demokratieorte in Deutschland“ für einen „demokratischen Patriotismus“ stark, der angesichts neuer Bedrohungen der Demokratie in Deutschland und der Welt Aufgabe des Staates sein müsse. Dieser solle sich seiner positiven Wurzeln erinnern und Orte und Symbole der Demokratie unterhalten – darunter vor allem auch die Paulskirche, die zu einem solchen demokratischen Erinnerungsort mit entsprechender Öffentlichkeitswirkung erhoben werden müsse.

Das Buch schließt mit einer kurzen Vorstellung der Paulskirchen-Vase und -Dose als Ehrengaben der Stadt Frankfurt zur Jahrhundertfeier der ersten deutschen Nationalversammlung von Franziska Kiermeier und Thomas Bauer. Die 160-seitige, reich bebilderte Publikation ist im Societäts-Verlag erschienen (ISBN: 978-3-95542-394-0) und zum Preis von 15 Euro im Institut für Stadtgeschichte und im Buchhandel erhältlich.

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