All that matters - worauf es ankommt | Theater La Senty Menti | Foto: Katrin Schander
Der Kinder- und Jugendtheaterpreis „Karfunkel“ 2024 geht an das Theater La Senty Menti mit dem Stück "All That Matters" - Ein Sonderpreis wird Gordon Vajen für sein Lebenswerk verliehen
Der Karfunkel-Preis für Kinder- und Jugendtheater der Stadt Frankfurt am Main im Wert von 10.000 Euro geht in diesem Jahr an die Produktion „All That Matters“ des Theaters La Senty Menti. Das Stück setzt sich mit den Themen Flucht und Vertreibung während des Zweiten Weltkriegs auseinander. Mit einem Sonderpreis für sein Lebenswerk und 5000 Euro wird der Gründer und langjährige Intendant des Frankfurter Theaterhauses, Gordon Vajen, geehrt. Die Preisverleihung findet am Dienstag, 27. Februar 2024, um 18 Uhr im Kaisersaal des Römers statt.
„Ich freue mich sehr, dass mit dem Stück ‚All That Matters‘ des Theaters La Senty Menti eine Arbeit geehrt wird, die gerade in der heutigen Zeit Aufmerksamkeit verdient. Die Gruppe um Liora Hilb leistet seit Jahren einen wichtigen künstlerischen Beitrag, um junge Menschen zum Nachdenken über Geschichte anzuregen. In ‚All that Matters‘, das auf der wahren Erfahrung der Schoa-Überlebenden Vera Gissing beruht, bringt es das Thema Flucht und Antisemitismus einem altersgemischten Publikum nahe, geht in Schulen, führt Workshops durch. Ich hoffe, dass dieser Preis die hervorragende Arbeit vom Theater La Senty Menti noch einmal stärken wird“, erklärt Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Ina Hartwig.
„Mit Gordon Vajen zeichnen wir zudem eine Persönlichkeit aus, die wie kaum eine andere die Frankfurter Theaterlandschaft geprägt hat. In jahrzehntelanger, unermüdlicher Arbeit hat er nicht nur das Theaterhaus, sondern eine Vielzahl von diversen Projekten etabliert, die Jugendliche und Familien erreichen – insbesondere Menschen, die sonst kaum oder gar nicht mit der hiesigen Kulturlandschaft in Berührung kommen“, fährt Hartwig fort.
Die Jury begründete ihre Entscheidung zum Karfunkel-Preis für das Theater La Senty Menti: „Mit ‚All That Matters‘ gelingt es La Senty Menti mit seiner Gründerin und Hauptdarstellerin Liora Hilb, das historische Geschehen der Kindertransporte aus Tschechien nach England im Jahr 1939 an heutige Migrations- und Fluchterfahrungen anzubinden, teilweise auch in autobiographischen Anekdoten.
So wird entlang der Memoiren ‚Pearls of Childhood‘ von Vera Gissing, die mit ihrer Schwester der Schoa dank eines Kindertransports entfliehen konnte, aber ihre Eltern und Verwandten verloren hat, ein eminent wichtiges Kapitel des 20. Jahrhunderts für alle Zuschauer von etwa neun Jahren an fassbar.
Das junge Publikum kann mit der Figur der Vera das Fremdsein in einem anderen Land und das Fremdbestimmtsein erleben – vor dem Hintergrund von Auswirkungen einer Diktatur: Es werden Abhängigkeiten von Schergen eines antisemitischen, rassistischen Regimes erzählt und die Vorurteile auch jener, die auf der ‚guten‘ Seite stehen. Aber das Publikum sieht auch, wer den Unterschied macht, wer – und dass überhaupt jemand – eingreifen kann und die Dinge so, vielleicht auch nur minimal, besser macht. Das ist die Ermutigung von ‚All That Matters‘: Dass jeder Einzelne die Veränderung ausmacht.
Liora Hilb hat für diese Produktion intensiv recherchiert und mit zahlreichen Kollegen aus der Region zusammengearbeitet, die das Stück gelingen lassen. Leonore Poth hat Figuren gezeichnet, die wie im Puppentheater Mitspielerinnen werden und als Animationsfilm das Publikum direkt ansprechen, Beate Jatzkowski mit ihrer polnischen Migrationsgeschichte ist als Musikerin und Mitspielerin auch Fremdheitszeugin für das Publikum, Günther Henne als Schauspieler des Theaterhaus Ensembles, hat als Regisseur die verschiedenen Elemente des Stücks klug verbunden.
Mit ‚All That Matters‘ setzt La Senty Menti jenseits der Stücke für ganz junges Publikum, die sie seit Jahren spielt, einen fruchtbaren Weg fort, der mit dem autobiographischen Stück ‚Remembering‘ begonnen hat. Damit hat sie 2017 den Karfunkel gewonnen. Liora Hilb geht von dem aus, was sie persönlich zu erzählen hat und sucht eine kluge und geradlinige Darstellungsform, die ein junges Publikum öffnet für große Fragen unserer Geschichte und noch mehr unseres Zusammenlebens.“
Die Ehrung von Vajen für sein Lebenswerk begründete die Jury mit den Worten: „Heute bekannt als Initiator und Intendant des Frankfurter Theaterhauses, ist Gordon Vajen vor allem ein Ermöglicher. Ende der Achtzigerjahre hat Vajen, auch inspiriert von den freien Gruppen, die den Mousonturm bespielten, den einstigen Gemeindesaal der Jüdischen Gemeinde an der Schützenstraße mit den freien Gruppen Klappmaultheater, Traumtänzer und Grüne Soße und anderen für ein freies Theaterhaus auserkoren, dem er seither vorsteht. Die gemeinschaftlichen Beschlüsse der Gesellschafter, die viel offene Diskussion verlangten, haben das Haus zu Beginn des Jahrtausends neu und ganz auf Kinder- und Jugendtheater ausgerichtet. Damals ist auch das eigene Theaterhaus Ensemble gegründet worden.
Vajen öffnet bewährten Kräften und immer wieder neuen Talenten das Haus, holt sie nach Frankfurt und ermöglicht Vernetzung. So hat er sich in der Professionalisierung und Qualitätssteigerung des Theaters für junges Publikum große Verdienste erworben. Jüngst hat er in Vorbereitung eines künftigen Kinder- und Jugendtheaters der Stadt auch zur Solidarisierung der freien Szene zum Verein Paradiesvogel, Karfunkel-Preisträger 2022, beigetragen.
Vajen, der als Regieassistent angefangen hat, ist den Weg ins junge Publikum konsequent weitergegangen, hat sich Mitstreiter gesucht und unermüdlich bei Politik und Förderern für die Belange des Kinder- und Jugendtheaters interveniert. Sein Credo lautet, dass Theater ein künstlerisches und ein soziales Ereignis zugleich ist.
In der Konsequenz hat er den Verein ‚Kunst für Kinder!‘ gegründet und 2012 die Frankfurter ‚Erzählzeit‘ ins Leben gerufen, ein Märchenprojekt zur Sprach- und Persönlichkeitsentwicklung, das ausgezeichnet worden ist und dessen Erfolg alle bestätigen, die mit mittlerweile Tausenden erzählgeschulter Kinder in Schulen und Kitas zu tun haben. Dass auch die Familien in die kulturelle Bildung einbezogen werden, macht das Projekt zu einer Blaupause.“
Der Jury des Frankfurter Kinder- und Jugendtheaterpreises „Karfunkel“ gehören Eva-Maria Magel (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Nadja Blickle (Starke Stücke Festival), Nikola Schellmann (Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland), Johanna Kiesel (Kulturamt Eschborn) und Kulturdezernentin Hartwig als Vorsitzende an.